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Schauspieler

Ein weiter Weg zum Applaus

Von Jochen Zenthöfer



Geeignet, wenn man sich wohl fühlt beim Spielen
09. November 2007 
Die Bühne bebt. Auf ihr steht eine junge Frau im schwarzen Kleid. Sie schreit: "Ja, das habe ich geahnt, du willst mir eine Szene machen. Raus hier!" Die Sätze aus dem Stück "Die offene Zweierbeziehung" von Dario Fo könnten Julia Holmes die Tür in die Schauspielwelt öffnen. Sie zeigt Spielfreude. Sie ist lebendig. Das mögen die Prüfer, zwei Professoren des Fachbereichs Schauspiel an der Folkwang-Universität in Essen. Mehr als 800 Bewerber hören und sehen sie sich Jahr für Jahr an. Jeder, der sich schriftlich beworben hat, bekommt eine Chance auf der Bühne. Wer überzeugt, darf in weiteren Runden sein Talent unter Beweis stellen. Aufgenommen werden am Ende nur die besten acht.

Gerechtigkeit ist bei dieser subjektiven Entscheidung fast unmöglich. Aber Folkwang ist bekannt für ein gutes Händchen: Berühmte Schauspieler wie Jürgen Prochnow ("Das Boot") und Armin Rohde ("Lola rennt") wurden hier entdeckt. Rohde spricht mit Blick auf seine Kommilitonen noch heute von einem "Champagnerjahrgang". Im Kultstreifen "Kleine Haie" spielte er neben Jürgen Vogel. Als Tellerwäscher Ingo Hermann hat dieser eigentlich nur den Auftrag, einen Stuhl zur Folkwang-Hochschule zu bringen. Dort gerät er ungewollt in ein Vorsprechen und überzeugt die Prüfungskommission mit seinem Auftreten, ohne dies zu wissen. Die Szene ist überspitzt, hat aber einen wahren Kern: Denn erfolgreich kann in Folkwang nur sein, wer auf der Bühne nicht nur etwas spielt, sondern etwas ist. Nur wer Ansätze dazu mitbringt, hat Chancen beim Vorsprechen. So wie Julia Holmes. Nach vier Bewerbungsrunden wartet die damals 23-Jährige an einem Tag im Februar 2004 gespannt auf die Ergebnisse. Und sie hört als eine der wenigen ihren Namen in der kurzen Liste der erfolgreichen Bewerber: "Aufgenommen ist . . . Julia Holmes!"

Die Erfolgreichen weinen vor Glück


Geschafft! Die Erfolgreichen weinen vor Glück. Und doch stehen sie erst am Anfang. Vier harte, beschwerliche Jahre beginnen. Wer Jura oder Maschinenbau lernt, kann sich am Wochenende von den Inhalten seines Fachs befreien. Bei Schauspielern ist das schwieriger. "Man muss sich selbst als Instrument begreifen, um in diesem Beruf zu arbeiten", sagt Julia Holmes. "Und das ist überhaupt das Schwerste - denn es setzt voraus, dass man sich mit all seinen Facetten, seine Stärken und Schwächen und vor allem seinen Gefühlen gut kennt. Deswegen erfordert die Schauspielausbildung eine Auseinandersetzung mit sich selbst."

Das ist nicht immer leicht und macht auch nicht immer Spaß. Eine schwierige Balance. "Selbstauseinandersetzung ist deshalb ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung", sagt Nadia Kevan, Professorin für Bewegungslehre und Körperbewusstsein an der Folkwang-Universität. Andere Schulen setzen andere Schwerpunkte: So legen die Lehrer der Berliner Hochschule "Ernst Busch" besonders viel Wert auf das präzise Handwerk der Schauspielkunst. An der Otto-Falckenberg-Schule in München dürfen Studenten des zweiten und dritten Jahrgangs bei Aufführungen der örtlichen Kammerspiele mitwirken. An der Hochschule für Musik und Theater in Rostock finden sich mit Philosophie, Literaturgeschichte und Kulturtheorie stärker theoretische Inhalte auf dem Curriculum als bei anderen. Und an der Hochschule "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg steht die film- und fernsehspezifische Darstellung im Vordergrund. So hat jede der 17 staatlichen Schauspielschulen im deutschsprachigen Raum ein eigenes Profil.

Idyllisch im südlichen Essen

Die Folkwang-Hochschule liegt idyllisch im südlichsten Stadtteil von Essen. Dort, nahe der Ruhr, die in den Baldeneysee fließt, und der Villa Hügel im Kruppwald, erhebt sich die Abtei zu Werden. Wer den Hof zu den alten Gebäuden betritt, hört klassische Klänge aus den Musikzimmern. Hier proben Mimen und Musiker, Tänzer und Sänger. Die Einwohner dieses etwas abgeschiedenen Stadtteils können tagtäglich Aufführungen, Konzerte oder Proben besuchen. Vom Ruhrgebiets-Klischee ist hier nichts zu spüren. Die Hochschule hat den Essener Süden zum Kulturgebiet gemacht. Gespannt warten Lehrer, Dozenten und Schüler nun auf das Jahr 2010. Dann ist Essen für das Ruhrgebiet die Kulturhauptstadt Europas - und dann wird, so hoffen sie, auch die Hochschule im Fokus des internationalen Interesses stehen.

Für Julia Holmes war der Start an der Folkwang-Universität zugleich ein Studienwechsel. Sie stand zwar bereits als Schülerin auf der Bühne, hatte sich aber zunächst für ein Jurastudium in Berlin entschieden. Ihre Leidenschaft, das merkte sie im Paragraphendschungel, war das nicht. Trotz exzellenter Noten und einem ihr bereits zugedachten Auslandsstipendium der Humboldt-Universität wagte sie 2004 den Sprung von der Spree an die Ruhr. "Ich habe das nie bereut", sagt sie heute. "Ich liebe die Schauspielerei, aber ich weiß, dass ich auch darüber hinaus existieren kann. Während der Bewerbung spürte ich deshalb keine Lebensängste. Das gab mir die nötige Sicherheit." Eine Sicherheit, die trügen kann. Denn bereits im Grundstudium wird von den Studenten verlangt, sich ihren Ängsten zu stellen und Risiken einzugehen. Auf der Bühne sollen sie den Konflikt suchen, statt ihm auszuweichen. Den menschlichen Drang zur Harmonie müssen sie abstellen, sobald die Probe beginnt - und danach wieder auf den Normalmodus umschalten. Nicht jeder kann diesen Prozess nachvollziehen. Die Lehrer aber erkennen schnell, ob ein Student eine Rolle wirklich verkörpert oder sie einfach nur spielt. Im Notfall kann es auch schon einmal drastische Worte und ungewöhnliche Lehrmethoden geben - etwa einen Mehrkilometerlauf durch Essen-Werden als Probenbeginn.

Was will ich erzählen?

Wie erkennt man, ob man geeignet ist für eine Schauspielausbildung? Julia Holmes sagt: "Wenn man sich wohl fühlt beim Spielen." Man dürfe nicht fragen: "Was wollen die von mir?", sondern müsse die Frage beantworten: "Was will ich? Was will ich erzählen?" Um sich das bewusst zu machen, reichen die klassischen Fächer nicht aus. Neben Spieltechniken, Improvisation, Rollen, Szenen und Aufführungen beschäftigen sich Schauspielstudenten auch mit Akrobatik, Fechten und Maskenspiel. "Die Alexander-Technik gehört in Essen ebenso dazu", sagt Professorin Kevan. "Das ist ein Körperunterricht, bei dem ungünstige Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten erkannt und durch bewusstes Innehalten abgelegt werden."

Doch die Aufzählung von Unterrichtseinheiten - zu ihnen gehört auch Theatergeschichte - vermittelt nur ein ungenügendes Bild des Studiums. Was passiert darüber hinaus? Man muss in sich hineinhorchen, Menschen beobachten, Bewegungen probieren, Stimme trainieren, Psychogramme entwickeln, den Bühnenraum entdecken. Wer eine Figur mit Depressionen spielt, soll für die Dauer des Auftritts ganz und gar diese Person sein, ohne Übertreibungen, mit feinen Nuancen. Das ist die Kunst: Zuerst mit der Intendantin über den Probenplan verhandeln, sich eine Minute später schwer krank auf die Bühne schleppen - und nach dem Stück zu Hause die Kinder mit einer Gute-Nacht-Geschichte ins Bett bringen.

Die Belastung gilt es schon während des Studiums zu ertragen. Eigenständig wählen die Studenten ihre Stücke aus, proben auch am Wochenende und müssen nebenbei meist noch Geld verdienen. Für die Erfolgreichen aber heißt es nach acht Semestern zum zweiten Mal: Geschafft! Julia Holmes hat gerade erfolgreich ihre Prüfung abgelegt. Als Diplom-Schauspielerin kann sie sich jetzt bei allen deutschen Bühnen bewerben. Ihren ersten Stückvertrag hat sie schon in der Tasche: Sie wird am Theater Dortmund die Attentäterin im Stück "Blues Brothers" spielen, einer Adaption des 1980 erschienenen Kultfilms von John Landis. Vom italienischen Literatur- Nobelpreisträger Dario Fo zum Hollywood-Regisseur John Landis - wandlungsfähig muss man eben sein in diesem Beruf. Es nur zu spielen ist nicht genug.

Text: F.A.Z., 03.11.2007, Nr. 256 / Seite C8
Bildmaterial: dpa, F.A.Z. - Tresckow

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